Am Mittwoch, den 18. März 2015, fand auf der Promenade vor dem Landhaus in Linz, eine Demonstration gegen das Kaputt-Sparen im OÖ. Sozialbereich statt, zu welcher die Gewerkschaften GPA-DJP und VIDA aufgerufen haben und an der an die 2200 Menschen teilgenommen haben. Der Hintergrund dieser Demonstration war die Ankündigung des Kostenträgers Land Oberösterreich im Laufe der nächsten drei Jahre € 25 Millionen im Sozialbereich einzusparen.
Das bedeutet massive Verschlechterungen für die Beschäftigten im OÖ. Sozialbereich sowie auch für jene steigende Anzahl von Menschen, die auf Unterstützung und Hilfe im Sozialbereich angewiesen sind.
Konkret – so wurde berechnet – geht es um die Gefährdung von mindestens 500 Arbeitsplätzen. Besonders betroffen sind Behinderteneinrichtungen, die psychiatrische Vor- und Nachsorge sowie die Wohnungslosenhilfe.
Dabei kann man sich ausrechnen, dass vor allem die älteren MitarbeiterInnen betroffen sein werden, sind es ja diejenigen, die auf Grund ihrer langjährigen Berufserfahrung für ihre Einrichtungen auch entsprechend teurer sind!
Und dass Personaleinsparungen bei gleichbleibenden Aufgaben und Zielvorgaben ganz klar eine fahrlässige Gesundheitsgefährdung der MitarbeiterInnen zur Folge hat und Burnout begünstigend wirkt, ist in Berufen, wo es ganz stark um persönliche Interaktionen und Beziehungsarbeit geht, schon lange kein Geheimnis mehr.
Gefordert wurde von den Veranstaltern ganz klar und eindeutig:
- Schluss mit den Kürzungen im Sozialbereich – hier muss erwähnt werden, dass in den letzten Jahren die jährlichen Kollektivvertragserhöhungen einmal überhaupt nicht bzw. nicht zur Gänze vom Kostenträger Land OÖ. an die Sozialeinrichtungen weitergegeben wurden – wobei die Einrichtungen natürlich die gesetzliche Verpflichtung haben, die im Kollektivvertrag vorgegebenen Gehälter und Zulagen auch an ihre MitarbeiterInnen zu bezahlen!
- Gefordert wurde weiters eine bedarfsgerechte Erhöhung der Finanzierung im Sozialbereich,
- das Bekennen zur gesellschaftspolitische Verantwortung seitens der Arbeitgeber
- den lautstarken Protest der Beschäftigten für gute Arbeitsbedingungen
- sowie den Erhalt der bestehenden Betreuungsqualität
Sie habe "Verständnis" für die Proteste der MitarbeiterInnen des OÖ. Sozialbereiches, wird Soziallandesrätin Mag. Gertraud Jahn zitiert. Ihr gehe es um die "Absicherung des bestehenden Leistungsangebots". Defizite der vergangenen Jahre wegen des Ausbaus der Betreuung hätten noch "zum Teil intern kompensiert werden können, was jetzt nicht mehr geht".
Auch Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer sprach von "Verständnis für die Anliegen", verwies aber auch auf die Ausgaben für Behindertenbetreuung, die von 2004 bis 2015 von 156 auf 399 Millionen Euro gestiegen seien.
„Verständnis für die Anliegen“ erwarte ich von Landeshauptmann Dr. Pühringer nur sehr bedingt. Er ist ja auch für das Finanzressort zuständig und da gibt es primär den Kostenparameter. Dass hinter diesen Zahlen Menschen stehen, deren Lebens- und Berufsverläufe über die finanziellen Ressourcen gelenkt werden, steht bestenfalls kurz im Wahlkampf vor der OÖ. Landtagswahl am 27.09.2015 zur Disposition wenn es um Wählerstimmen geht! Nachdem in Oberösterreich nur alle 6 Jahre gewählt wird, tritt der Mensch für die Politik bis zum Herbst 2021 wieder in den Hintergrund!
Für Befindlichkeiten am Arbeitsplatz, für mögliche Überforderungen von MitarbeiterInnen auf Grund enger personeller Ressourcen erwarte ich von ihm wenig Verständnis: Er selbst hat ja ganz Oberösterreich im Jahr 2011 vorgeführt, dass alles geht, wenn man nur will“: Für gut drei Monate nahm er die Vertretung von Landesrat Rudi Anschober bei dessen Burnout Krankenstand in der Landesregierung wahr. Und zwar zusätzlich zu seiner bereits übernommenen Vertretung von Landesrätin Mag. Doris Hummer, die ja gerade auf Babypause weilte.
Das heißt: De-facto hatte Landeshauptmann Pühringer zum gleichen Zeitpunkt drei hoch verantwortungsvolle Jobs zu erledigen. Mit ihm also Themen wie Überlastung zu besprechen, wird von seinem Zugang und praktischen Handeln her, wohl wenig Sinn machen!
Wir kommen in die Jahre, aber es gibt keine neuen Zugänge zu gesellschaftspolitischen Entwicklungen. So war ich am 8. November 2008 vom Verein zur Förderung der Freiwilligen Sozialen Dienste zur festlichen Feier des 40jährigen Bestehens dieser Organisation eingeladen. Als Gastredner hielt der Theaterautor und auch als Supervisor tätige Thomas Baum eine brillante Festansprache. Leider zu einem Zeitpunkt, als die offizielle Begrüßung und die Lobreden der Politiker schon beendet waren und diese der Feierlichkeit (bewusst) nicht mehr beiwohnten!
Thomas Baum beschrieb damals ungeschminkt, dass die Politik ganz bewusst Missstände im Sozialbereich – nach lediglich finanziellen Vorgaben – einplant und damit äußerst verantwortungslos bis grob fahrlässig mit den dort tätigen DienstnehmerInnen und ihren PatientInnen, KlientInnen etc. umgeht! Da wurden offene und mutige Worte in einer Klarheit formuliert, die ganz selten zu finden ist!
Die von Thomas Baum 2008 beschriebene Situation hat sich seit damals vielfach bestätigt und entsprechend weiter verschärft. Ein Ende dieses von der Politik eingeschlagenen Kurses ist weit und breit nicht in Sicht!
Dazu eine Überlegung von mir: Der Sozialbereich ist in der heutigen Leistungsgesellschaft weitestgehend isoliert: Dort werden keine Wirtschaftsleistungen erbracht, oft wird dargestellt, dass dieser Bereich nur etwas kostet, also die Erträge (wesentlich) der Wirtschaft damit vermindert.
Der oder die „Nichtleister“ sind damit für die Leistungsgesellschaft wertlos. Im Sinne von Übertragung wird diese „Wertlosigkeit“ auch jenen Menschen attributiert, die sich um das Wohl von Pflege- und Hilfsbedürftigen kümmern. Und es ist für die handelnden Politiker in der neoliberalen Gesellschaft, die sich nicht mit den Schattenseiten des Lebens wie Leid, Not, Schmerz oder Tod beschäftigen will oder kann, nicht populär, sich um diesen Bereich wirklich ernsthaft zu kümmern!
Dass die Wirtschaft völlig zum Stillstand kommen würde, würde einen einzigen Tag lang jede/r MitarbeiterIn im Sozialbereich seine oder ihre Tätigkeit nicht ausüben, würden auch noch zusätzlich die KindergärtnerInnen und LehrerInnen aussetzen, wären die Leistungserbringer an diesem Tag wohl damit beschäftigt, sich um ihre kranken, pflegebedürftigen Angehörigen oder zumindest um ihre Kinder zu kümmern.
Primär geht es heute auch im Sozialbereich darum „was der Markt verlangt“ – und erst danach, was die Sozialeinrichtungen und die Beschäftigten tatsächlich leisten können. D. h. es wird nicht überprüft, wie viel Personalkapazitäten wird benötigt, um eine gewisse Leistung zu erbringen sondern den vorhanden MitarbeiterInnen wird einfach Ihr Ziel vorgegeben. Somit treten Leistungserwartung und Leistungsfähigkeit systematisch auseinander, prinzipiell „maßlose“ (Markt)anforderungen treffen auf natürlich begrenzte Ressourcen, Arbeit und Gesundheit geraten in Konflikt.
Es geht hier um eine grundsätzliche Lebens- und Wertehaltung, und um eine „neue Kultur der Arbeit“ und diese ist bei diesen Anbietern sicherlich nicht zu finden! „Wo Geld zum Ziel wird, gewinnt es die Kraft, alle anderen Werte als Mittel für sich herabzudrücken“, so der Begründer der deutschen Soziologie, Georg Simmel, in seinem Traktat „Philosophie des Geldes“. Wo Geld zum absoluten Gut wird, kommt es zu „pathologischen Ausartungen“ – und das hat Simmel schon 1900 festgestellt!
Und das Geld, wenn die Politik es will, offensichtlich im Handumdrehen aufgetrieben werden kann, hat sich zum Beginn des Jahres 2015 gezeigt:
Auf Grund des Pariser-Anschlages auf die Redaktion der Satirezeitung Charlie Hebdo hat sich die Österreichische Regierung sich vor Wochen auf ein Sicherheitspaket im Ausmaß von 260 bis 290 Mio. Euro geeinigt. Da geht es vor allem schwerpunktmäßig um Hubschrauber und gepanzerte Fahrzeuge.
Aber auch um bessere Schutzausrüstung, IT- und Observationstechnik, bessere Kommunikationsmittel sowie 100 zusätzliche Spezialisten. Dieses Geld war schnell aufgetrieben. Aber: „Wir fürchten uns vor dem Falschen“ ruft z. B. der Stuttgarter Risikoforscher Ortwin Renn aus: „In den vergangenen zehn Jahren hatten wir in Europa mehr Tote durch Pilzvergiftungen als durch Terroranschläge“. Trotzdem diskutieren wir über Körperscanner auf Flughäfen sowie alle möglichen weiteren zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen statt über Pilzkunde in den Schulen“.
Aber auch das Gegenteil ist der Fall: Es gibt Risiken, die viel größer sind als gemeinhin angenommen wird: Der Klimawandel, Finanzkrisen, Ungleichheit, Cyberrisiken. Diese sogenannten systemischen Risiken sind dadurch gekennzeichnet, dass sie in ihrer Struktur und Wirkungsweise global, vernetzt und nicht linear sind. Sie lassen sich deshalb auch kaum mehr kontrollieren.
Renn sieht auch als von der Politik krass unterschätztes systemisches Risiko die mangelnde Verteilungsgerechtigkeit in Griechenland. Hier würde das Risiko der Ungleichheit zugunsten der Minderung des Finanzrisikos vernachlässigt – mit weitreichenden Folgen!
Er gibt zu bedenken: „Wenn der erste Stein in der Risikokette erst einmal fällt, kann man nicht mehr viel machen“. Im Kampf gegen systemische Prozesse sieht er nur zwei Möglichkeiten: Entweder man löst den Dominoeffekt erst gar nicht aus – dafür ist es aber meistens zu spät. Oder man unterbricht die Vernetzung und erhöht die Widerstandsfähigkeit, die „Resilienz“ der Systeme. Aber auch das schätzt er in der Realität als sehr schwer durchsetzbar ein. „Verflechtung ist effizient, unabhängige Systeme sind ineffizient“ führt Renn aus. Die Frage für ihn ist: „Wie viel Effizienz bin ich bereit aufzugeben, um die Resilienz zu erhöhen?“
Mit dem Thema Sicherheit befasst sich auch der Philosoph Volker Gerhardt, Professor an der Humboldt-Universität in Berlin: Für ihn ist Politik schon immer eine Reaktion auf innere und äußere Risiken gewesen. „Was könnte bedeutsamer sein als die Erhaltung und Entfaltung des alltäglichen Lebens?“, fragt der Philosoph, „Und wie konnte es geschehen, dass die elementare Sicherung des menschlichen Lebens in Vergessenheit geriet?“
Schärfer formuliert: „Wie war es möglich, dass die Politik sich selbst zur größten Gefährdung der Zivilisation auswachsen konnte? Die Politik sollte für Befriedung sorgen. Doch es gibt nichts, wodurch der Mensch sich so sehr gefährdet hat wie durch die Politik.“ Die Hüterin der Sicherheit als größtes Sicherheitsrisiko. Gerhardt denkt dabei an die zwei Weltkriege oder die Gefahr einer atomaren Katastrophe aber auch die Gefährdung von Natur und Gesundheit.
Dies alles sei möglich, weil die Politik aus Gründen der Machtsicherung immer wieder auf einer „Faszination für Extremlagen“ verfalle, statt sich um die „eigentlichen Aufgaben“ zu kümmern: Das sind „die Vermeidung und Schlichtung von Streit, der Kampf gegen die Ursachen der Ungleichheit, die Förderung von Erziehung und Bildung, das Setzen wirtschaftlicher Impulse und schließlich die Bereitstellung von Hilfen in unverschuldet eintretenden Fällen der Gefährdung und der Not.“
Gefährdung durch Politik? Aber natürlich, wir haben ja als aktuellstes und spektakulärstes Beispiel in Österreich die Causa Hypo Alpe Adria … und eben auch im Sozialbereich (und da schließt sich der Kreis) hat die Politik keine konkrete Idee wie z. B. die stark zunehmende Anzahl von Demenzerkrankten in Österreich (Stand 2013: Um die 100.000 Patienten, geschätzte Entwicklung bis 2030 um die 250.000 – 270.000 Patienten) betreut werden können!
Der langjährige Soziallandesrat und Landeshauptmann-Stv. Josef Ackerl, der sich im Oktober 2013 aus der Politik zurückgezogen hat, meinte im Jahr 2012 stolz rückblickend auf seine langjährige Amtszeit, „die Geschäftsführungen der OÖ. Sozialeinrichtungen haben sich während seiner Amtszeit „gut entwickeln“ lassen“. Und als Anerkennung für deren Bereitschaft sich im Sinne des Geldgebers der Sozialabteilung des Landes Oberösterreich „gut entwickeln zu lassen“ hat er die langjährigen Geschäftsführer der Sozialeinrichtungen kurz vor seinem Abschied noch mit dem Ehrentitel „Konsulent für Soziales“ ausgezeichnet. Damit hat er Vorsorge getroffen, dass von dieser Seite her vermutlich wenig Widerstand bei Einsparungen und Kürzungen im Sozialbereich zu erwarten ist!
„Ich habe hier bloß ein Amt und keine Meinung“ ließ Friedrich Schiller in „Wallenstein’s Tod“, dem dritten Teil der Wallenstein Trilogie einen seiner Protagonisten äußern. Die Aktualität dieses Zitats ist verblüffend und doch auch in sich logisch und nachvollziehbar, wenn ich mir die gesellschafts-politischen Entwicklungen vor Augen führe. Im Rahmen meiner Ausbildung zum akademischen Supervisor und Coach an der Donauuniversität Krems hat der wissenschaftliche Leiter Hilarion Petzold an uns Auszubildende immer appelliert: „Als Supervisor haben Sie auch die Pflicht, gesellschaftspolitische Entwicklungen mutig und kritisch zu hinterfragen, zu analysieren und zu kommentieren“. Um dann konkret zu fordern: „Publizieren Sie dann über Ihre Erkenntnisse“! Bei mir hat er damit offene Türen gefunden.
Ich habe über die Demonstration im Sozialbereich am 18.03.2015 einen 20-minütigen Radiobeitrag für Radio FRO und das Freie Radio Salzkammergut gemacht. Das ist der Link.
Als Quelle für einige Ausführungen habe ich die Zeitschrift „Upgrade“, Ausgabe 1.15, verwendet, das Magazin für Wissen- und Weiterbildung der Donau-Universität Krems.